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18.02.2004 |
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Inland |
Ulla Jelpke |
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Tödliche Flüchtlingspolitik |
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Erschütternde Dokumentation der Antirassistischen
Initiative Berlin e.V. |
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Die Antirassistische Initiative e.V. in Berlin hat
hat jetzt eine aufrüttelnde Dokumentation vorgelegt. Unter dem
Titel »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen
Folgen – 1993 bis 2003« werden darin Berichte über Todesfälle,
Folterungen und Mißhandlungen aufgelistet. Die Dokumentation
untermauert die zentralen Forderungen der Antirassistischen
Initiative: »Offene Grenzen! Bleiberecht für alle! Gleiche
Rechte für alle!«
Im dokumentierten Zeitraum vom 1.
Januar 1993 bis zum 31. Dezember 2003 starben mindestens 145
Menschen auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland. Die
erklärte Politik der Europäischen Union und der
Bundesregierung, Europa zu einer Festung mit uneinnehmbaren
Grenzen zu machen, führte zu tödlichen Konsequenzen für
schutzsuchende Flüchtlinge. Allein 113 Menschen kamen an der
deutschen »Ostgrenze« ums Leben. 398 Menschen erlitten beim
Grenzübertritt Verletzungen, davon 102 durch Maßnahmen der
Bundesgrenzschutzbeamten. 83 Personen wurden durch Bisse von
Diensthunden verletzt.
Aus Verzweiflung über ihre
bevorstehende Abschiebung nahmen sich 121 Menschen das Leben
oder sie starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu
fliehen. 47 Flüchtlinge begingen in Abschiebehaft Suizid. 329
Menschen in Abschiebehaft (und 439 Personen insgesamt)
verletzten sich in Panik selbst oder versuchten sich
umzubringen oder erlitten schwere gesundheitliche
Beeinträchtigungen durch Hungerstreiks.
Fünf
Flüchtlinge starben während der Abschiebungen, 234 Menschen
wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während ihrer
Abschiebung verletzt.
Trostlos ist auch die Bilanz nach
durchgeführten Zwangsabschiebungen. Flüchtlinge genießen nach
der Genfer Flüchtlingskonvention bei drohender Gefahr für Leib
und Leben Abschiebungsschutz. Diese Rechte stehen oft jedoch
nur auf dem Papier. Nach Abschiebung in ihre Herkunftsländer
kamen 21 Flüchtlinge zu Tode, mindestens 361 wurden im
Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und
gefoltert, mindestens 57 Menschen verschwanden nach der
Abschiebung spurlos.
Im Inland wurden zehn Flüchtlinge
bei Polizeimaßnahmen, die nichts mit Abschiebungen zu tun
hatten, getötet, mindestens 309 wurden verletzt. Anschläge auf
Flüchtlingsunterkünfte und Brände in Flüchtlingsheimen führten
zu mindestens 55 Todesopfern und 636 erheblich Verletzten.
Durch rassistische Übergriffe auf der Straße kamen in
Deutschland zwölf Flüchtlinge ums Leben, mindestens 529 wurden
verletzt.
Die schreckliche Gesamtbilanz laut Recherchen
der Antirassistischen Initiative: Durch staatliche Maßnahmen
der BRD kamen zwischen 1993 und 2003 mindestens 302
Flüchtlinge ums Leben, durch rassistische Übergriffe starben
78 Flüchtlinge.
Einige aktuelle Beispiele aus der
Dokumentation:
Am 3. Oktober 2003 (Tag des Flüchtlings)
übergießt sich der georgische Flüchtling Lewon A. in
Biedenkopf (Hessen) mit Benzin und zündet sich an. Im Dorf
hatten er und seine Familie Arbeit, Ausbildung, Freunde und
Akzeptanz gefunden. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er mußte
aufgrund ausländerrechtlicher Bestimmungen seine Arbeit
aufgeben, die Abschiebung drohte. »Ich kann nicht mehr! Ich
liebe euch!« ruft er seinen drei Kindern zu, die versuchen,
das Feuer mit Decken zu löschen. Lewon A. stirbt an den
Brandverletzungen. Damit entfällt auch die Duldung für seine
Familie.
Am 8. Oktober 2003 wird der 33jährige Aristide
K., Flüchtling aus Kamerun, in Wriezen (Brandenburg) von drei
deutschen Männern rassistisch beschimpft und geschlagen. Als
der Angegriffene eine Passantin bittet, die Polizei zu rufen,
spuckt ihm diese ins Gesicht und beleidigt ihn
ebenfalls.
Am 9. Oktober 2003 greift ein 46jähriger
Mann aus Ludwigsfelde in der Eisenbahn einen zwei Monate alten
Säugling an. Er belästigt erst die aus Jugoslawien und Sierra
Leone stammenden Eltern, läßt sich dann auf den Säugling
fallen und drückt das Mädchen zu Boden.
Am 3. November
2003 springt der 29jährige Flüchtling Abdoulaye Ly aus dem
dritten Stock einer Flüchtlingsunterkunft in Bremen. Er hatte
große Angst vor Menschen und wurde sozialpsychiatrisch
beraten, ist aber niemals behandelt worden.
Am 6.
November 2003 wird in einem Mehrfamilienhaus in Jülich (NRW)
eine Matratze in Brand gesteckt. Eine 82jährige deutsche
Mieterin und ein 31 Jahre altes Flüchtlingsehepaar aus dem
Kosovo sowie deren drei und fünf Jahre alten Kinder ersticken,
der zweijährige Sohn stirbt am nächsten Tag an den Folgen der
Rauchvergiftung. Als Brandstifter wird ein Feuerwehrmann
überführt.
Am 9. November 2003 wird in Dresden ein
28jähriger Flüchtling aus Nigeria von hinten mit einer Flasche
auf den Kopf geschlagen. Es ist dies der vierte tätliche
Angriff, den der junge Mann erleiden muß.
Am 25.
November 2003 wird in Cottbus ein 27jähriger Flüchtling aus
Vietnam gegen 22.30 Uhr im Stadtbus von zehn deutschen
Jugendlichen angepöbelt. Als er aus dem Bus aussteigt,
verfolgen ihn drei Jugendliche. Sie schlagen den Vietnamesen
nieder und fügen ihm Prellungen, eine Platzwunde und ein
Schädel-Hirn-Trauma zu.
Am 31. Dezember 2003 versucht
ein 41jähriger türkischer Abschiebegefangener in Bremen die
Flucht aus dem Gefängnis. Aus vier Metern Höhe stürzt er ab.
Er erleidet Beinbrüche und eine schwere
Rückenverletzung.
Die gesamte Dokumentation ist in der
neuen, 11. Auflage bei der Antirassistischen Initiative
erhältlich: Yorckstraße 59, 10965 Berlin (Tel. 0 30/7 85 72
81, Fax 0 30/ 7 86 99 84), die 10. Auflage ist noch im
Internet abrufbar.
*
www.berlinet/de/ari/titel.htm |
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